2011/12/02

Generation Valium oder Konsensokratie

Christian Ortner macht sich auf seinem Blog ortner online Gedanken, ob die sogenannte Generation Facebook nicht in Wahrheit eine Generation Valium wäre. Denn in unseren Breiten ist vom revolutionären Elan, mit dem eben jene vielgepriesene Facebook-Gemeinde ihren neuen, islamistischen Machthabern den Weg bereitet, nicht viel zu spüren. Zum Glück, möchte man sagen mit Blick auf die Konsequenzen.

Doch die Antwort auf Ortners Analyse ist weitaus verwickelter, als es auf den ersten Blick aussieht. Natürlich ist ihm dabei zuzustimmen, dass eine vom Wohlfahrtsstaat gehätschelte (und gegängelte) Generation nunmehr  sehenden Auges erleben muss, dass sich die Versprechen eben jenes Sozialstaates für sie selbst so nicht mehr erfüllen werden. Ja, mehr noch - sie stehen dieser Entwicklung völlig tatenlos gegenüber. Das ist in der Tat erstaunlich.

Oder auch nicht. Denn was nicht ist, kann noch werden. Oder gab es vor einem Jahr irgend jemanden, der prophezeit hätte, dass eine Reihe arabischer Staaten schon bald ihre Autokraten abschütteln würde. Oft genügt ein Funke, und das Pulverfass fängt Feuer. War es nicht die Selbstverbrennung eines jungen Mannes, die letztlich die ganze Kette der nordafrikanischen Revolten ausgelöst hat?

Zugegeben, so ganz lässt sich die Lage diesseits und jenseits des Mittelmeeres nicht vergleichen. Zu viele Parameter sind schlicht und einfach deutlich unterschiedlich eingestellt. Aber wie gesagt, niemand hätte vor einem Jahr den gegenwärtigen Zustand der Welt vorhersagen können.

Zu den maßgeblichen Unterschieden gehört unter anderen, dass es uns in den nördlichen Breiten immer noch wesentlich besser geht als den Bewohnern des südlichen Ufers. Wer viel zu verlieren hat, der überlegt es sich dreimal, ob er oder sie wirklich auf die Barrikaden klettern soll. Und schon sind wir bei einem zentralen Punkt angelangt. Unsere Gesellschaften, vor allem in Deutschland, Österreich, Skandinavien, aber auch in anderen europäischen Ländern sind in weiten Teilen Konsensokratien.

Was soll man darunter verstehen? Konsensokratien sind Gebilde, in denen es nicht erwünscht ist, bestimmte Dinge zu diskutieren. Denn Diskussion kann unter Umständen zu Streit führen, und Streit ist unerwünscht, gilt als gesellschaftliches Übel. War es nicht die österreichische Kronenzeitung, die beim Antritt der Regierung Faymann-Pröll freudestrahlend verkündete, dass nunmehr das ewige Streiten der Koalitionspartner ein Ende habe und endlich Harmonie einkehren werde.

Gut, die Krone ist nicht das intellektuelle Leitmedium des Landes, aber einflussreich ist sie allemal. Mitunter sogar so einflussreich, dass gewisse Minister ihre Beamten extra arbeiten lassen, nur damit die Krone einen Tippfehler nicht ausbessern muss.

Konsens ist also angesagt. Und wer den Konsens bricht oder als Konsensbrecher ausgemacht ist, der "stehle weinend sich aus diesem Bund", um mit Schiller zu sprechen. Doch die Krone ist nur ein Repräsentant einer weitaus größeren Medienlandschaft, die letztlich die gleiche Prämisse verinnerlicht habt. Nun könnte man achselzuckend sagen, mein Gott, sollen die doch schreiben, was sie wollen. Papier ist geduldig, und in drei Tagen interessiert es schon niemanden mehr, was heute auf der Titelseite stand.

Ist dem wirklich so? Natürlich nicht. Gab es nicht einen Herrn Sarrazin, der ungeachtet seiner fachlichen Kompetenzen, die nie wirklich zur Disposition standen, seinen Posten verlor, weil er den Denkrahmen der Konsensokratie sprengte? Die entsprechenden Titelseiten sind längst im Altpapier gelandet, die Botschaft aber lebt in den Köpfen weiter. Und darauf kommt es an. Hätte Sarrazin virtuos mit Statistiken zu Budgetdefiziten, Produktivitätsprognosen und ähnlichen abstrakten Begriffen gespielt, wäre er heute noch in Amt und Würden. Denn ob das Budgetdefizit 160 oder 250 Milliarden ausmacht, ist dem Normalbürger ebenso unbegreiflich wie der Abstand des Sonnensystems zur nächsten Galaxie. Die Klitoris der Konsensokratie liegt jedoch in anderen Gefilden, nämlich dort, wo der Normalbürger bereits die Konsequenzen einer Entwicklung zu spüren beginnt, der er sich wehrlos gegenüber sieht und die so gänzlich anders aussieht, als sie von den politisch Verantwortlichen gezeichnet wurde. Denn offensichtlich sind die Heere der zugezogenen "Rentenzahler" noch nicht schlagkräftig genug, um die Probleme des Sozialstaats zu beheben, den sie eigentlich retten sollten. Und die Bevölkerung beginnt sich zu fragen, ob sie nicht einer Chimäre aufgesessen ist. Doch diese Fragen dürfen in der Öffentlichkeit nicht gestellt werden.

Sarrazin ist zwar ein bekanntes Beispiel, aber längst nicht das einzige. Sein Bekanntheitsgrad hat bestimmt dazu beigetragen, den Erfolg seines Buches zu steigern. Andererseits hat diese Popularität ihn nicht geschützt vor den Konsequenzen. Im Gegenteil, hier wirkte sie mit Sicherheit negativ verstärkend. Denn wenn selbst ein so nüchtern argumentierender Mensch und hervorragend vernetzter Politiker wie er angesichts der medialen Kampagne nicht ungeschoren bleibt, wer könnte es dann wagen, mit seinem Anliegen in die Öffentlichkeit zu treten? Und wurde nicht auch anderen Politikern wie Geert Wilders erfolgreich das Rassisten-Etikett umgehängt? Da überlegt man es sich gleich dreimal, ob man mit so einem assoziiert werden will oder nicht.

Ja richtig, wir haben viel zu verlieren. Nach der ökonomischen Theorie denkt der Mensch in der Kategorie des Grenznutzens. Er fragt sich also: Fahre ich besser mit oder ohne Sarrazin, mit oder ohne Wilders? Von der Theorie des Grenznutzens her gesehen, ist die Antwort eindeutig. Zumal, wenn man sein Häuschen in einer sicheren Gegend errichtet hat. Bleibt nur zu hoffen, dass die Gegend auch in absehbarer Zukunft sicher bleibt.

Wenn ich die Lage richtig deute, dann verhalten sich die Menschen einfach rational, wenn sie nicht aufbegehren, wenn sie gewisse Dinge nicht in der Öffentlichkeit ansprechen. Wie oft habe ich es schon erlebt, dass Leute Dinge zu mir gesagt haben, die nicht für die Ohren der Konsensokratie bestimmt waren!

Zugegeben, ich bin nur einer von vielen, tauge mithin nicht zum Maßstab des vox populi. Doch wo liegt dieser Maßstab? Vielleicht sind die Online-Foren mancher Tageszeitungen ein besserer Gradmesser. Und siehe da! Man vergleiche einmal nur die Menge an Kommentaren die zu unterschiedlichen Themen abgegeben wird. Bei gewissen Themen wie Islam kochen die Foren regelmäßig über. Hier melden sich die Leute (anonym!) zu Wort. Ja, die Anonymität bietet den meisten genügend Schutz, um Dampf abzulassen, um das zu sagen, was die Konsensokratie bei Namensnennung niemals zulassen würde, was für den Einzelnen verheerende Konsequenzen hätte. Sarrazin lässt grüßen! Und die Gesetze zur Volksverhetzung tun ein Übriges.

Wer wollte es dieser Generation verdenken, dass sie lieber zu Valium greift, als die Stricke um die Straßenlaternen zu wickeln! Die alles entscheidende Frage ist nur: Wie lange wirkt das Valium?

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